Und zur Versöhnung rohen Hering

Amsterdam ist mir aus der Vergangenheit nicht in bester Erinnerung geblieben. Mein erster Besuch wurde von einem verlorenen Portomonaie in der Silvesternacht überschattet. Schwer verkatert, ohne Geld und Ausweis, einer offenen Hotelrechnung & ohne Bahnticket nach Hause stand ich damals in einem 0-Sterne Hotel irgendwo in der Nähe der Amstel und hatte einige Probleme zu lösen. Beim zweiten mal war der Aufenthalt für einige Stunden geplant. Umsteigen in Schiphol kann aber auch ein Nacht dauern, wenn man seinen Anschlussflug verpasst und auf dem Flughafen schlafen muss, weil alle Hotels mit Messebesuchern hoffnungslos überfüllt sind. Der dritte Anlauf stand nun unter besten Vorzeichen. Meine längste Freundin, Nina, wohnt seit ein paar Jahren in Amsterdam mit Ihrem Freund Tomas und ein Besuch war lange überfällig. Ein verlängertes Wochenende ganz im Zeichen der Versöhnung mit dieser Stadt stand also bevor. KLM flog mich in ein völlig verregnetes Amsterdam, was sich wohl von seiner hässlichsten Seite zeigte. Mir war das egal, denn ich wollte meine Freunde treffen, schöne Dinge erleben und meinen Frieden mit Amsterdam machen.

Empfangen mit einem wunderbaren Abendessen, würzigem Duvel-Bier aus Belgien und ein paar Flaschen Rotwein entschädigte eigentlich schon der erste Abend für die beiden vorangegangenen Besuche. Es sollte noch besser kommen. Ewig langes Schlafen an allen drei Morgen, ausgedehnte Frühstücke mit Brioche & Baguette und schier endlos vielen Stationen in der Stadt, die jedem Liebhaber von gutem Essen feuchte Augen machten. Ein Muss für jeden Besucher ist die Kaaskamer. Ein Paradies für Käseliebhaber, in dem man jeden Käse vor dem Kauf probiert und einem für das besprochene Abendessen eine hervorragende Käseauswahl zusammengestellt wird. Darunter Blauschimmel, der fast fruchtig-zitronig schmeckte und ein toller Brokkelkaas, dessen Name sich aus der Konsistenz ableitet: Ein sehr alter harter Gouda, der Kristallartig auf der Zunge zerfällt und dann langsam schmilzt.

Der zweite Abend war fast schon zu viel Klischee, weil das Abendessen, was Tomas und ich in der Küche seines Elternhauses zubereiteten in einem Haus an der Spiegelgracht stattfand. Es ist eine Sache an den schmalen und windschiefen Backsteinhäusern vorbei zu laufen, zu bewundern wie wundervoll und mit viel Liebe (…und Geld) die Niederländer vor 300 Jahren diese Puppenhaus nicht unähnlichen Wohnhäuser an die Kanäle gebaut haben. Aber es ist ein wirklich wunderbares Erlebnis in einem solchen Haus ein paar Stunden verbringen zu dürfen, zu kochen und nach dem Essen auf die beleuchteten Brücken und in die Fenster der gegenüberliegenden Häuser zu gucken. Tomas hat nachmittags auf dem Albert-Cuyp-Markt in dem ehemaligen Arbeiterviertel Pipe frischen silbrig glänzenden Seebarsch gekauft und zum Abendessen mit Koriander, Kreuzkümmel,  Knoblauch und Olivenöl mariniert. Dazu gab es ein bisschen Gemüse und einen simplen Salat aus Rettich und Karotten. Smakkelig. Mit ein paar weiteren Gläsern Rotwein und dem Käse aus der Kaaskamer wurde der Abend besiegelt.

Nach all den Erlebnissen tagsüber, einigen Bierkneipen und Genever-Verkostungen kam am Samstag Abend ein weiteres Highlight auf uns zu: Das Restaurant mit dem Namen Hotel De Goud Fazant. Kein Hotel, sondern ein altes umgebautes Lagerhaus verbirgt sich dahinter, in dem eine offene Küche, eine lange Bar aus bunten Backsteinen und eine sehr fröhliche Service-Crew, die die Gäste in Empfang nimmt. Für 30 Euro bekommt man dort ein leckeres 3-Gänge-Menu und dazu ein paar gute Weine. Der Clou am Restaurant ist zum einen die Lage: Direkt an der Hafenkante mit Blick auf Amsterdam, denn man setzt vom Festland mit einem Boot über, von wo aus man einen tollen Blick hat. Zum anderen die (ehemalige) Nutzung des Restaurants als Art Garage. Die Fläche ist so riesig, dass auf dem Weg zur Toilette ein alter Porsche und ein Maserati, sowie ein alter Golf Platz finden. Es gibt auf einer Zwischenfläche einen Billardtisch und die riesigen Garagentore werden im Sommer zum Wasser hin geöffnet. Hört sich ungemütlich an? Ist es in keiner Sekunde, weil mit warmen Farben und vielen Kerzen gearbeitet wird. Den größten Teil der Gemütlichkeit allerdings machen die buntgemischten Gäste und vor allem die Service-Crew, die einem laufend das Gefühl gibt die einzig wichtige  Person im Restaurant zu sein.

Dank Nina und Tomas, zwei wunderbaren Freunden, den ich, wenn Sie keine tollen Aufgaben hätten, dringend ans Herz legen würde von Beruf Gastgeber zu werden, werde ich Amsterdam wieder besuchen. Sehr oft und ich werde das I-Tüpfelchen meines Aufenthaltes wieder geniessen: Rohen Hering mit gewürfelter Zwiebel und einer Gewürzgurke. Der Himmel auf Erden, wenn der verkaterte Kopf noch ein wenig Starthilfe braucht und einem nasskaltes Nordseewetter unter die Haut kriecht. Danach freut man sich um so mehr in einer kleinen Kneipe auf das herzerwärmende Genever slurpen…

Genever_slurpen

  1. Maaike

    Good to hear you really enjoyed the ‚hering‘, so not only the Japanese like them!

    März 1st, 2010 //
  2. Paul Fritze

    Raw fish: The beginning of a wonderful friendship between the Japanese and I…

    März 1st, 2010 //

Add your comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

Geschichten aus der Küche & von unterwegs.