Angrillen bei 30 Grad im November
Es gibt in Saigon nur eine einzige Regel im Strassenverkehr: Wenn alles fließt, ist alles gut. Wer stehenbleibt oder versucht mit schnellen Schritten über eine Kreuzung zu gelangen lebt gefährlich. Wer kein Hindernis zwischen hunderten von Mopeds, ein paar Autos und wenigen Bussen sein will hat keine Wahl, als sich in eine ständige gleichmässige Bewegung zu bringen die jeder andere antizipieren kann.
Das funktioniert so lange wunderbar, wie es keine Ampeln gibt, weswegen man hier auf das Aufstellen solcher auch in der Regel verzichtet. Wenn es doch welche gibt, haben die Vietnamesen gelernt diese nur als Vorschlag anzusehen, keineswegs als Verkehrszeichen mit klarer Regelableitung. Nach ein paar Tagen haben wir den Dreh halbwegs raus. Keine zehn Minuten von unserem Hotel aus unterwegs, haben wir am Abend stolz ein paar mehrspurige Strassen zu Fuß routiniert überquert und landen schließlich in einer kleineren Gasse im Schatten zweier Hochhäuser nicht unweit des Song Sai Gon. Durch einen mit warmem Kerzenlicht und kniehohen Elefantenfiguren in Atmosphäre getauchten Gang geht es in den hinteren Teil eines Hauses von dessen Dach, dem Restaurant „3T“, es vorn auf der Strasse nach Gegrilltem riecht. Ein paar Treppen führen auf das Hausdach hinauf, wo rund 150 Vietnamesen einen inzwischen für uns nicht mehr ungewohnten Lärm machen. Großfamilien, junge Paare, einige Geschäftsleute mit hochgekrempelten Hemdsärmeln und Freunde sitzen in Gruppen an massiven aus Bambusrohren gebauten Tischen und dazu passenden Stühlen zusammen – die Unterhaltungen sind nicht nur laut, sondern erkennbar herzlich. Die Stimmung ist ausgelassen. Dazwischen laufen in schwarz-roter Kellnerbekleidung ca. 20 Männer mit Schüsseln voller Rind- und Schweinefleisch, Soja- und Chilisoßen, dazu dutzende Keramiktöpfe mit dampfendem Klebreis. Von der Kühlung tropfnasse Bier- und Wasserflaschen werden über die Köpfe durstigen Händen übergeben. Das Regiment führt von der Bar am Eingang aus eine ca. 35 Jahre junge Vietnamesin mit prenzelbergischer schwarzer Architektenbrille. Sie könnte auch Richterin sein; in einer dieser amerikanischen Fernsehserien. Sie wirkt streng und ist schön; koordiniert, befehligt und sorgt für regelmäßigen Gastaustausch. Man will so gern ein Lächeln von Ihr und versucht es mit knallharter Provokation, einem eigenen freundlichen Blick. Sie schaut eher irritiert zurück. Von außen sieht das ganze Dach aus wie das pure Chaos. Auch die Buchhaltung, die nebenbei hinter dem Tresen erledigt wird.Wenn man ein paar Minuten in den unter freiem Himmel gelegenen Gastraum schaut, sieht man allerdings wie hier Rad in Rad greift und ein Uhrwerk läuft.
Die fröhlichen Kellner machen scheinbar keinen Gang zu viel oder zu wenig. Wenn nicht gegangen wird, wird gerufen und die Bestellung wird aus dem Küchenbereich von Kellnerhand zu Kellnerhand gereicht, bis sie den Gast erreicht hat. Das Essen kommt in großen Teilen mariniert, gewürzt und teilweise am Spieß zum Tisch, denn hier grillt jeder selber. Außer dem Reis & den Pommes Frites erreicht den Gast nichts Gegartes. Die schöne Juristin weist einen der Kellner an uns einen Tisch zu geben und nach ein paar Minuten brutzelt vor uns auf einer heißen im Tisch eingelassenen pechschwarzen Metallplatte vietnamesisches BBQ: Dünn aufgeschnittenes Rind in einer würzigen Marinade aus Ingwer, Paprika, Soja und Knoblauch, Garnelen in Knoblauchöl, Wild mit Sesamkörnern, dicke Auberginenstreifen, Tomatenscheiben und Zwiebelringe. Dazu stehen auf dem Tisch Schüsseln mit würzigem Salz, Sojasoße mit Chili, Pommes Frites und Reis.
Es machen sich von unserer BBQ-Platte und allen anderen Tischen Gerüche auf den Weg zwischen die von Gegrilltem und Bier beseelten Gäste und lassen uns allen das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Die Hitze der heissen Platten und die Feuchtigkeit des verdunstenden Regens auf der Strasse, stellem einem die Schweissperlen auf Stirn und die Arme. Das Fett spritzt von der heissen Platte auf Teller und Schüsseln. Vom Pulen der leuchtenden Schale der Garnelen mit aufgestützten Ellenbogen verteilt es sich an den Händen; schnell sind auch Stäbchen und Bierflasche überzogen, die bald von Kondenswasser und Fett glänzen. Wir genießen diesen Ort und diesen Moment nach der Regel der Stasse: Alles fließt, alles ist gut.
Fritz
Wenn alles fließt, ist alles gut. Der Spruch fließt durch den gesamten Beitrag. Sehr schön!
Paul Fritze
Freut mich sehr, Fritz.