Foodcamp London
Die Tür zur Gangway war noch auf. Noch 50m bis meine Bordkarte gescannt werden würde und ich mit den anderen sechs Rennenden in Heathrow in den Flieger nach Berlin steigen würde. Wir hatten uns durch die Schlangen beim Check-In nach vorne gefragt, auf dem Weg zur Sicherheitskontrolle von Gürtel, Schuhen und Kleingeld befreit, zur Passkontrolle das Sekundenlächeln aufgesetzt und sind dann mit den Füßen in der Hand zum Gate gehetzt.
All das, weil der Abflug verlegt wurde, die Bahn zwischen den Terminals nicht fuhr und wir uns nicht in ein Taxi setzten, sondern den Bus nahmen. 1 1/2 Stunden zum Boarding-Schluss sollten genügen – dachten wir. Ich hatte nach unserer Odysee durch Terminals, Bushaltestellen und Flughafengänge noch mit viel gerechnet, aber nicht mit der kühlen Rationalität der britischen Lufthansa-Dame am Gate: „We just closed the gate. I am very sorry, Sir“„But, but, we, the train, the terminal, we made it, right?“
„I’m afraid we already closed the gate, Sir.“
„But, why, we are here, right? The train didn’t come, the bus was stuck in traffic, the line at the security-check – we couldn’t be here any earlier.“
„That is very unfortunate, Sir.“
„You are serious, aren’t you?“
„I’m afraid I am, Sir. You have to buy a new ticket at the counter. Do you want me to show you the way, Sir?“
„No…thanks.“ So ärgerlich, unnötig und teuer dieser verpasste Flug nach Hause für ein paar Minuten war, so wenig konnte er mir mein am Wochenende Erlebtes kaputt machen, denn ich hatte mich mit gut einem Dutzend Menschen durch London gegessen. Eine wunderbare Ausstellung von David Shrigley in der Hayward-Galerie gesehen und mir von Freunden London so zeigen lassen, wie ich es auf früheren Besuchen nie sehen konnte. Die Young Turks, ehemalige Köche an den Herden von Heston Blumenthal und Rene Redzepi, bereiten derzeit Abend für Abend im ersten Stock des Ten Bells Pub ein paar hundert Teller zu. Eben dort haben wir unsere 24h Genuss auch begonnen. Freitag Abend um 19:00h wurden Drinks gereicht und die ersten Vorspeisenteller landeten auf einer großen Tafel über dem eigentlichen Restaurant. Man teilte sich Herzen, Bäckchen, Gans und etwas, dass ich immer noch nicht einordnen kann: Bloodcracker – mit Birne und Lardo.
Alle Fotos in diesem Beitrag kommen von Daniela, die es versteht mir auch im Nachhinein noch das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen. Danke Dir!
Es folgten sechs weitere fantastische Kreationen, von denen man nacheinander dachte: Jetzt kann es nicht besser werden. Es wurde. Immer. Besser.
Angus, Austern und Holunderbeeren
Entenei, Anchovi-Creme, Broccoli
SCHOKOLADENTRAUM & dunkles Kernel
Der nächste Tag war dominiert von zwei Märkten. Erster Stop: St. Maltby Lock In. Eigentlich die Lager der Markthändler des Borough-Market, haben diese hier in den Bögen unter der Bahn nahe der Towerbridge einen unaufgeregten Ort geschaffen, an dem es vor Delikatessen nur so wimmelt. Austern zum Katerfrühstück, geräucherter Lachs frisch von der Seite geschnitten, Kernel-Bier, was wir zuvor am Abend schon zur Nachspeise getrunken haben, Käse, Gemüse, Schinken… und und und. Unzählige Dinge, die ich beim nächsten Besuch weiter entdecken muss.
Bogen 76 unter der Bahn wurde unsere kurzfristige Küche. Unter Österreichischer Gastgeberschaft kochten wir ein paar leichte Gänge (ja, genau…) in einer voll ausgestatteten Küche und schleppten uns danach kugelrund zum Brixton Market, lernten ein paar Dinge über Dumplings, vergnügten uns bei Karamel-Eis, ein paar Drinks und liessen den Abend in einem Pub ausklingen.
Am Sonntag hatte ich wohl die besten Führer Londons, die man sich so wünschen kann: X Jahre dort gelebt, ein nicht unerhebliches Interesse an Essen und großartigen Humor – sogar wenn es um Kunst geht. Ich kann seit diesem Tag behaupten ich mag jetzt einen Künstler: David Shrigley. Der Mann ist schlicht bekloppt, dreht in seinen Arbeiten ein bisschen an der Realität, nimmt sich und die Welt auf die Schippe und zeigt all das in der Ausstellung in der Hayward-Gallery (noch bis Mitte Mai). Danke für den Tag liebe Daniela und lieber Bernd. Das müssen wir mit ein bisschen mehr Zeit mal wiederholen!Wer bei so einem Trip dabei sein will, muss sich bei Florian auf die Mailingliste setzen – es gibt regelmässig Updates zu neuen Touren. Im Herbst geht es ein paar Tage nach Marokko.
nata
Noch nicht mal halb acht am Morgen und ich will dieses Bier. Vielen Dnk für diesen Bericht. Ich bin tief beeindruckt!
lise
entenherzen?!!! nun gut. die sehen aus wie pecan-nüsse. aber die beide märkte sind schon sehr wundervoll. wenn du das nächste mal da bist, solltest du dir die zeit nehmen und auf den markt hier gehen: http://www.hackney.gov.uk/ridley-road-market.htmINteressanterweise steht da nichts über Nahrungsmittel in der Was-kann-man-kaufen-Liste, aber vielleicht mussten sie es unter Pet Food einordnen…
Lemon
Sehr spannender Post, genau solche Events find‘ ich super interessant, wär‘ ich auch gerne gewesen. Gibt’s sowas in Deutschland auch? Das Essen sieht köstlich aus. Was habt Ihr gekocht?
Paul Fritze
Nata: Um welche Uhrzeit kann man denn kein Bier trinken? ;) Prost!Lise: Danke, guck ich mir dann mal an.Lemon: Der Florian hat schwon zwei solcher Events in Deutschland gemacht. Trag dich doch einfach mal in seine Email-Liste ein und dann kriegst du die Infos. Kenne keine anderen…
Paul Fritze
Lemon: Es gab Risotto mit Enuki, Schweinebauch, Ofengemüse, gefüllte Crepes, Muscheln. Ein paar Kleinigkeiten halt ;)
Andrea
Ich glaube, da gehe ich mal vorbei! Auf dem Brixton Market war ich noch nicht und die Ausstellung sieht auch interessant aus!Danke für den Tipp! :)
rahmi4
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